(Artikel von Volker Reusing vom 03.06.2010)
Die offizielle Version, Bundespräsident Horst Köhler sei vor allem wegen seiner Äußerungen gegenüber dem Deutschlandfunk vom 22.05.2010 in Afghanistan zu Militäreinsätzen für Wirtschaftsinteressen zurückgetreten, vermag nicht zu überzeugen.
Denn als Bundespräsident hat er eine strafrechtliche Immunität genossen wie kein anderer Mensch in unserem Land. Gerade angesichts eines Aufrufs auf dem Blog „Bundeshorst“, ihn wegen seiner Äußerungen bzgl. Militäreinsätzen und Wirtschaftsinteressen anzuzeigen, wäre es doch wesentlich logischer gewesen, wenn er die Argumente des / der Anzeigeerstatter(s) ignoriert oder zurückgewiesen hätte. Aber genau in der Situation die Immunität aufzugeben, scheint vollkommen unlogisch.
Militärische Missionen für Interessen sind seit dem Lissabonvertrag ganz offiziell in Art. 42 EUV in Verbindung mit der EU-Sicherheitsstrategie ausdrücklich verankert. Das Bundesverfassungsgericht hat den Mißbrauch dieser Vorschriften im Lissabon-Urteil vom 30.06.2009 immerhin soweit eingegrenzt, dass diese möglicherweise zwar zur Unterstützung von Staaten, mit denen man gar nicht verbündet ist, verwendbar sind, aber keinesfalls zum Angriffskrieg, weil durch das Lissabon-Urteil verfassungsrechtlich sichergestellt wurde, dass für Deutschland das Friedensgebot (Art. 1 Abs. 2 GG) und die Angriffskriegsverbote aus Art. 26 GG und aus Art. 2 Abs. 4 Uno-Charta über jeglichen Vorschriften des EU-Rechts zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) stehen. Die Äußerungen des ehemaligen Bundespräsidenten in Afghanistan zeigen, dass er die Ergebnisse des Lissabon-Urteil offenbar noch nicht vollständig realisiert hat, oder dass sie ihm vielleicht teilweise nicht gefallen. Er hat aber dort niemandem ausdrücklich den Krieg erklärt, und auch nicht ausdrücklich zu einem solchen Krieg in einem ganz konkreten Fall aufgerufen. Falls er sich mit seinen Äußerungen in Afghanistan, so unerträglich sie für viele grundgesetztreue Menschen in Deutschland auch sein mögen, überhaupt strafbar gemacht hat, dann am ehesten in Zusammenhang mit seinem Eid, da er nach Art. 56 GG ausdrücklich auf das Grundgesetz geschworen hat. Deshalb wäre es viel logischer gewesen, wenn er die Immunität nicht aufgegeben hätte. Was also könnte noch gewichtiger gewesen sein ?
Dafür lohnt es sich, seine Rede vom 14.05.2010 vor dem Bundesverfassungsgericht anlässlich des Festaktes zur Verabschiedung des alten und zur Amtseinführung des neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts anzusehen.
In seiner Rede hat Köhler damals für den „Euro-Stabilisierungsmechanismus“ geworben. Zu dem Zeitpunkt lag der deutsche Gesetzentwurf dafür vom 11.05. 2010 (Bundestagsdrucksache 17/1685) erst seit drei Tagen vor. Am 21.05.2010 wurde er von Bundestag und Bundesrat in einer schwindelerregenden Geschwindigkeit beschlossen. Laut der Rede des Abgeordneten Dr. Jürgen Trittin ohne, dass den Abgeordneten der Text zu dem „Stabilisierungsmechanismus“, dem sie mit dem Gesetz blanko zugestimmt haben, vorgelegen hätte.
Genau dieses Gesetz soll dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erstmals die Möglichkeit geben, auf eu-rechtlicher Grundlage Kreditauflagen zu machen, und damit aller Voraussicht nach mit eu-rechtlichem Rang.
Normalerweise ist IWF-Recht ganz normales Völkerrecht und damit gleichrangig mit den meisten anderen internationalen Verträgen.
Die meisten völkerrechtlichen Verträge stehen über den nationalen Gesetzen (Art. 27 Wiener Vertragsrechtskonvention, WVRK), aber unterhalb aller nationalen Verfassungen und auch unterhalb der zum „ius cogens“ gehörenden internationalen Verträge (Uno-Charta, Menschenrechte der Uno und humanitäres Kriegsvölkerrecht) und unterhalb des nicht zur GASP gehörenden EU-Rechts.
Der Ranganspruch des EU-Rechts steht in Konkurrenz zu dem der höchsten Verträge der Uno (Art. 103 Uno-Charta, Art. 28 AEMR, Art. 1 EUV, Art. 51 EUV, Erklärung 17 zum Lissabon-Vertrag).
Wenn nun IWF-Kreditauflagen mit eu-rechtlichem Rang transportiert werden sollen, dann fordert das die Fähigkeit der Menschenrechte der Uno, der Umsetzung dieser Kreditauflagen Grenzen zu setzen, heraus. Und auch die Grundrechte der Verfassungen anderer Euro-Mitgliedsstaaten, in denen die Grundrechte nicht klar über dem EU-Recht stehen, wie am deutlichsten in Irland.
Am 14.05.2010 hat der damalige Bundespräsident vor dem Bundesverfassungs-gericht für dieses Gesetz, welches dem IWF erhebliche zusätzliche Macht geben würde, geworben. Und er hat auf emotionale Weise Druck ausgeübt, nicht übermäßig durch Urteile in die Aufgaben des Gesetzgebers einzugreifen.
Er hat am 14.05.2010 mitten aus einem Interessenkonflikt heraus gehandelt. Denn Horst Köhler ist in den Jahren 2000 bis 2004 geschäftsführender Direktor des IWF gewesen und ist danach in die immunste Position der gesamten Bundesrepublik Deutschland gewechselt.
Als Bundespräsident hätte er das Gesetz zu Drucksache 17/1685 von sich aus dem Bundesverfassungsgericht vorlegen müssen bereits angesichts der Blankett-Ermächtigungen zu einem Stabilisierungsmechanismus, dessen Regelungen den Abgeordneten bis heute nicht vorgelegt wurden. Stattdessen warb er rhetorisch trickreich ausgerechnet vor dem Bundesverfassungsgericht in einer Einfluss nehmenden Rede für den Mechanismus. Welche Gedanken er dabei auch gehabt haben mag, seine Rede war ganz im Sinne des IWF und der diesem nahe stehenden Bankhäuser und nicht im Sinne des Grundgesetzes.
Die Verfassungsbeschwerde vom 29.05.2010 weist ihm genau diesen Interessenkonflikt nach. Und sie beleuchtet einige der schwersten Menschenrechtsverletzungen des IWF insbesondere hinsichtlich des Welthungers. Laut einem offiziellen Dokument der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2001, welches in der Klage zitiert wird, sind die Kreditauflagen von IWF und Weltbank Haupthindernis Nr. 2 für das Recht auf Nahrung in der Welt, noch vor der Biotechnologie und vor allen gegenwärtigen Kriegen zusammen. Und die Klage zitiert Beispiele, in denen der IWF aktiv bzw. passiv den Hunger im Niger und in Brasilien verschärft hat, und welche zumindest teilweise zeitlich in die Amtszeit Köhlers fallen, sodass man sich fragen muss, was er davon damals hätte verhindern können.
Die Kreditauflagen des Internationalen Währungsfonds haben also weit mehr an Toten gefordert als der Afghanistankrieg. Das ist ein Grund zu gehen.
Rücktritte ebenso wie das Wegloben von Politikern sind ein psychologischer Mechanismus, um bestimmte Themen aus der öffentlichen Wahrnehmung zu entfernen. Oft werden dazu kleinere, schonendere, Skandale vorgeschoben.
Manchmal gibt es dazu auch Absprachen, als Gegenleistung für den Rücktritt Themen nicht mehr zu behandeln.
Man darf gespannt sein, wer da mit wem Absprachen getroffen haben mag, und was in der nächsten Zeit noch alles über den IWF und dessen Einfluss auf die Entwicklung der Krise herauskommen wird.
Quellen
Bundeshorst-Blog
http://bundeshorst.wordpress.com/
Rede des Bundespräsidenten vom 14.05.2010
http://www.bundespraesident.de/Reden-und-Interviews-,11057.663872/Das-Bundesverfassungsgericht-i.htm?global.back=/-%2c11057%2c0/Reden-und-Interviews.htm%3flink%3dbpr_liste
Verfassungsbeschwerde mit Quellennachweisen zum IWF
http://sites.google.com/site/buergerrechtemenschenrechte/euro-stabilisierungsmechanismus
Videostellungnahme zur Verfassungsbeschwerde
http://www.youtube.com/watch?v=Dc2mI99lsoM&feature=player_embedded
Blogeintrag zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde
http://unser-politikblog.blogspot.com/2010/05/burgerrechtlerin-legt.html
Rücktrittsrede des Bundespräsidenten
http://www.youtube.com/watch?v=VJ2D8UWwYVY&feature=player_embedded
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