Freitag, 4. Juni 2010

Bürgerrechtlerin legt Verfassungsbeschwerde ein gegen Spekulationsförderungsmechanismus und gegen Supranationalisierung von IWF-Auflagen

(Bundestagsdrucksache 17/1685)
von Sarah Luzia Hassel-Reusing, 30.05.2010

Am 29.05.2010 hat die Bürgerrechtlerin Sarah Luzia Hassel-Reusing Verfassungsbeschwerde eingereicht gegen das Gesetz, welches sich selbst "Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus" nennt (Drucksache 17/1685).

Das Gesetz fördert die Spekulation, anstatt sie zu bremsen, weil es den Gläubigern der anderen Euro-Mitgliedsstaaten verspricht, dass sie auf Steuerzahlerkosten mehr von ihren Forderungen gegenüber den jeweiligen Staaten erhalten werden, als dies bei einem Staatsbankrott sonst der Fall wäre. Dieser Fonds stärkt massiv die Machtposition der Gläubiger gegenüber den Einwohnern des Schuldnerstaates. Es handelt sich gerade nicht um einen Akt der Solidarität mit der Bevölkerung in den anderen Staaten, welche meist überhaupt erst durch völlig überdimensionierte nationale Bankenrettungsfonds in Zahlungsschwierigkeiten gekommen sind, sondern zu Gunsten von deren Gläubigern, also schon wieder um eine gigantische Bankensubventionierung aus Steuergeldern zu Lasten des Sozialen, der Realwirtschaft und selbst der Funktionsfähigkeit der Staaten.

Das Gesetz enthält jedoch darüber hinaus in seinem §1 Abs. 1 S. 2 eine Blanko-Zustimmung für die Schaffung eines Systems, welches weit gefährlicher und schmerzhafter für die Menschen in der Euro-Zone und in der EU wäre, als ein Staatsbankrott allein es jemals sein könnte: Es ist vorgesehen, Kreditauflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit dem Rang von EU-Sekundärrecht zu den Opferländern zu transportieren.




Erst noch in diesem Monat hat der Präsident von Ecuador öffentlich angekündigt, einen Brief an den griechischen Staatschef zu schreiben, und darin darzulegen, wie die Programme des IWF Krisen verschlimmert und die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen vernichtet haben.

Zahlreiche Staaten vor allem Lateinamerikas versuchen heute, den IWF-Krediten zu entkommen, weil es weltweit so gut wie keinen anderen legalen Gläubiger mit derart brutalen Kreditauflagen gibt.

Nun will dieses Gesetz seine Blankett-Zustimmung dazu erteilen, auf eu-sekundärrechtlicher Ebene einen Mechanismus installieren, in welchem die EU-Kommission und der IWF gemeinsam die Auflagen für die Notfallkredite bestimmen, und zwar ausdrücklich mit einer Strenge, wie sie sonst bei IWF-Auflagen üblich ist.
Selbst die Verträge, auf denen Existenz des IWF beruht, haben nicht mehr als den Rang der meisten anderen völkerrechtlichen Verträge auch. Klar unterhalb aller nationalen Verfassungen, der Uno-Charta, der Menschenrechte der Uno und des humanitären Kriegsvölkerrechts.

Da die EU aber spätestens seit dem Lissabon-Vertrag ihr Recht komplett über die Menschenrechte der Uno stellen will, ist die Absicht, IWF-Kreditauflagen nun mit eu-sekundärrechtlichem Rang zu transportieren, ein klarer Angriff auf die Fähigkeit der universellen Menschenrechte der Uno, den IWF-Kreditauflagen in den Staaten der Euro-Zone bzw. der EU Grenzen zu setzen.

Noch härter wäre Irland betroffen, welches nach Art. 29 Abs. 4 Nr. 10 sämtliches EU-Recht sogar über seine eigene Verfassung stellt, und welches daher so gut wie keine Schutzmechanismen gegen IWF-Auflagen mit eu-sekundärrechtlichem Rang hätte – außer vielleicht noch einem EU-Austritt.

Der IWF mag als eigenständige internationale Organisation berechtigt sein, seine Auflagen unabhängig von den Menschenrechten zu formulieren. Dass diese Auflagen in vielen Staaten aber auch insoweit umgesetzt werden, wie sie über die Grenze dessen hinwegtrampeln, was nach den nationalen Verfassungen und nach den unteilbaren universellen Menschenrechten der Vereinten Nationen erlaubt ist, ist rechtswidrig. Es wird in zahlreichen Staaten nach Auffassung der Klägerin auch nicht mehr lange dauern, bis auch haftungs- und strafrechtlich die Mißachtung des Vorrangs der Grundrechte und der zum „ius cogens“ gehörenden universellen Menschenrechte vor dem IWF-Recht geahndet werden wird.

Im Niger hat der IWF den Aufbau ausreichender Nahrungsmittelreserven untersagt und selbst mitten in der Hungersnot sich gegen die Verteilung von Hirsehilfslieferungen der Vereinten Nationen und von NGOs eingesetzt.

In Brasilien hat er eine vorübergehende Aussetzung des Schuldendienstes abgelehnt, sodass das brasilianische „Fome Zero“ - Programm nur Hunderttausende statt Millionen aus dem Hunger holen konnte.

In den 1980er Jahren sorgten vom IWF befohlene Kürzungen von Nahrungsmittel- subventionen für Hungerunruhen in Bolivien, Jordanien und Venezuela.

Nach einer Veröffentlichung der Vereinten Nationen zum Menschenrecht auf Nahrung (Art. 11 Uno-Sozialpakt) sind die Kreditauflagen von IWF und Weltbank zusammen der zweitgrößte Grund für den Hunger in der Welt, deutlich vor der Biotechnologie und vor allen Kriegen in der Welt zusammen.
In 2005 sind weltweit täglich 100.000,- Menschen verhungert, davon offensicht- lich ein erheblicher Teil durch den IWF. Das sind Größenordnungen, die an Völkermorde erinnern, allerdings mit dem Unterschied, dass es sich hier gegen die Ärmsten und nicht gegen bestimmte Völker richtet.

Nach einem Urteil des lettischen Verfassungsgerichts vom 22.12.2009 hat der IWF sich zumindest in Europa erst einmal in der Weise gemäßigt, dass er zumindest momentan Mindestlöhne und Mindestrenten in Europa befürwortet bzw. unangetastet lässt.

Die aktuellen IWF-Forderungen im „memorandum of understanding“ gegenüber Griechenland und im „letter of intent“ von Rumänien zeigen jedoch, wo er hin will:

-deutliche Kürzungen der Renten
-deutliche Kürzungen in der gesetzl. Krankenversicherung
-Erleichterung des Verzichts auf Tariflöhne
-Aufhebung von Honorarordnungen für Freiberufler
-Kürzungen der Subventionen für die Realwirtschaft (damit mehr Geld für die Banken da ist)
-deutliche Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst
-drastische Personalreduzierung im öffentlichen Dienst (für Griechenland nur noch 1 neuer Beamter für 5 ausscheidende, in Rumänien nur noch 1 für 7; obwohl in Rumänien die Polizei schon heute knapp ist)

Wie das „memorandum of understanding“ mit Griechenland beweist, hat der IWF gegenüber Griechenland bereits im Januar gefordert, dass 10,- Milliarden € von dem ersten Hilfspaket, welchem Bundestag und Bundesrat am 07.05.2010 zugestimmt hatten (Drucksache 17/1544), nicht etwa für die Griechen oder deren Schulden, sondern als Startkapital für noch einen weiteren griechischen Bankenrettungsfonds zu verwenden. Vergangene Woche haben die selbsternann-
ten „systemrelevanten“ Bankenkreise im Einklang mit der EU-Kommission gefor-dert, wie z. B. Radio Utopie und die taz gemeldet, dass alle Euro-Mitgliedsstaaten noch einmal zusätzlich zusammen 350,- Milliarden € für präventive Bankenrettungsfonds einzahlen sollen. Genau das hat der IWF Griechenland schon im Januar zur Auflage gemacht. Und jetzt wird erst der ganze Zusammenhang sichtbar. Der neue „Stabilisierungsmechanismus“ würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch zur Auffüllung solcher präventiver Bankenrettungsfonds auf Pump verwendet.

Der drastische Personalabbau im öffentlichen Dienst liegt auf der gleichen Linie wie der Lissabon-Vertrag (Art. 14 AEUV, Protokoll 26 zum Lissabon-Vertrag), die Staaten zu zwingen, erhebliche Teile ihrer hoheitlichen Aufgaben von privaten Konzernen ausführen zu lassen, bis hin zur de-facto Auflösung der Souveränität der Staaten, zur Degradierung der Demokratie zur bloßen Fassade, zur Degradierung von Recht und Gesetz zur bloßen Verhandlungsbasis.

Darüber hinaus ist der IWF auch im Umgang mit Statistiken höchst umstritten. Sein ehemaliger Mitarbeiter Davison Budhoo warf ihm vor, Daten zu Trinidad und Tobago absichtlich falsch ausgewertet zu haben, um dem Land überhaupt erst einzureden, es hätte eine Krise, und um so die vom IWF gewünschten Auflagen durchsetzen zu können.

Besonders pikant ist, dass Trinidad und Tobago laut einer kanadischen Studie eines der Länder ist, in welchen der IWF die Privatisierung von Teilen der hoheitlichen Verwaltung und damit eine Aufweichung des zivilen Gewaltmonopols durchsetzen konnte.

Das sogenannte „Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus" ist die Blankett-Zustimmung zu einer „schrecklichen Schönheit“, die nicht geboren werden darf – damit auch die gegenwärtige und zukünftige Generationen in Deutschland und Europa weiterhin ein Leben in Würde und eine internationale Ordnung, welche die Souveränität der Staaten (Art. 2 Abs. 1 Uno-Charta) und die Chance auf die volle Verwirklichung der universellen Menschenrechte (Art. 28 Allgem. Erklärung der Menschenrechte) nach Kräften respektiert, schützt und fördert, erleben und genießen können.

Politiker, die selbsternannten „systemrelevanten“ Banken alles hinterher werfen, anstatt diese Banken zu entflechten, bis sie klein genug sind, das Wirtschafts- und Staatssystem nicht mehr zu gefährden, Politiker, welche mehr auf die mäch- tigsten Bankiers und Konzerne hören, als auf die verfassungsmäßige Ordnung und auf die universellen Menschenrechte, gehören nicht ins Parlament.


V.i.S.d.P:

Sarah Luzia Hassel-Reusing, Thorner Str. 7, 42283 Wuppertal, 0202 / 2502621

Links:

Ankündigung der Verfassungsbeschwerde vom 20.05.2010
http://unser-politikblog.blogspot.com/2010/05/burgerrechtlerin-kundigt.html

Verfassungsbeschwerde vom 29.05.2010
http://sites.google.com/site/buergerrechtemenschenrechte/euro-stabilisierungsmechanismus

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